Page 9 - Hvar entdecken
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Immer schon war die Form dieser Insel prägend für ihre Geschicke. Der lang gestreckte Insel-  ALDO ČAVIĆ
           rücken verjüngt sich bis zu seinem spitz zulaufenden Ende, das nur 6 km von der dalmatinischen
           Festlandküste entfernt liegt und auf das breite Mündungsdelta der Neretva zuzulaufen scheint.
           Diese Inselgestalt weckte früher sowohl Assoziationen mit einer Ahle – so nämlich die Bedeutung
           von Lesina, eines der italienischen Inselnamen – als auch mit einem Dolch aus Quarz, wie ein
           Dichter  sie  einmal  beschrieb.  Auf  der  Spitze  dieses  steinernen  „Dolches“  liegt  das  Örtchen
           Sućuraj (von. Sveti Juraj = hl. Georg), während der „Griff“ auf der anderen Seite in der Inselspitze
           Pelegrin ausläuft. Beide Namen rühren von mittelalterlichen Kirchlein her, die an den jeweiligen
           Enden  standen.  Auf  der  felsig-schmalen  Ostspitze  von  Hvar  wurde  ein  kleines  Gotteshaus  zu
           Ehren des hl. Drachentöters Georg errichtet. Dem hl. Pelegrin wiederum, der als Schutzheiliger
           der Pilgerer gilt, wurde ein Kirchlein an jenem anderen Ende der Insel geweiht, das dem offenen
           Meer  zugewandt  ist.  Hier  lag  nämlich  das  erste  Stückchen  Land,  das  Pilgerer  auf  ihrer  langen
           Galeerenfahrt zum Heiligen Land nach dem Start in Venedig zu Gesicht bekamen.
           Zwischen diesen beiden äußersten Endpunkten zeigt die Insel das Grün von Kiefern und Oliven,
           das Grau ausgewaschener Steinlandschaften, das Rot von Erde, aber auch das von Menschen-
           hand  geschaffene Weiß: aufeinander geschichtete Steine, Steinhügel, Mauern und Bauwerke,
           mit denen  die  Bewohner  der  Insel  im  Laufe  von  Jahrtausenden  Ordnung  in  die  anarchische
           Schönheit von Gottes Natur brachten.
           Nur ganz wenige Flecken auf der Insel sind vollkommen unberührt. Wenn bei einem sommer-
           lichen Flächenbrand irgendein grün überwucherter und bis dato völlig unzugänglicher Bereich
           niederbrennt,  werden  hinterher  zumeist  bauliche  Anlagen  wie  Terrassenmauern,  Steinwege
           oder Unterstände aus Trockenmauern sichtbar oder zumindest sorgfältig geschichtete Steinhau-
           fen, die stets ein Zeichen menschlicher Mühen sind.
           Hvar war schon in der Jungsteinzeit besiedelt. Von den zahlreichen Höhlen, die den Menschen
           damals  als  Unterschlupf  oder  als  Kultstätte  dienten,  ist  die  bekannteste  die  an  der  Südseite,
           oberhalb von Gromin Dolac gelegene Grapčeva-Höhle. Hier entdeckte der auf Hvar gebürtige
           Archäologe Grga Novak große Mengen an Scherben von halbkugelförmigen Schalen. Sie wie-
           sen Verzierungen mit geometrischen Motiven wie Spiral- oder Mäandermuster auf, die auf blaue
           und braune Flächen eingeritzt und mit weißer und roter Farbe bemalt waren. Diese in ihrer
           Erscheinungsform  einzigartige  farbige  Keramik  des  Jüngeren  Neolithikums  fand  in  der  ar-
           chäologischen Wissenschaft unter dem Begriff Hvarer Kultur Eingang. In der frühen Bronzezeit,
           etwa um 2500 v. Chr., kamen neue Siedler indoeuropäischer Herkunft auf die Insel. Sie errichteten
           befestigte Wohnsiedlungen  (kroat.  gradina)  auf  den  Gipfellagen  von  Hügeln  und  Bergen,  also
           auf allen strategisch bedeutsamen Punkten der Insel. Bis heute zeugen zahlreiche, auf der ganzen
           Insel anzutreffende Ruinen steinerner Grabhügel von der Bautätigkeit dieser Bevölkerungs-
           gruppe,  welche  im  1.  Jahrtausend  v.  Chr.  in  griechischen  Dokumenten  erstmals  unter  dem
           Sammelbegriff Illyrer schriftlich erwähnt wird. Als griechische Kolonisatoren um 385/384 v. Chr.,
           von der ägäischen Insel Paros kommend in Hvar landeten, stießen sie auf diesen geheimnisvol-
           len Volksstamm,  der  keine  schriftliche  Ausdrucksform  kannte  (obwohl  antike  Quellen  belegen,
           dass er seefahrerisch versiert war). So markiert das Ankunftsjahr der Griechen den Beginn der
           geschriebenen Geschichte Hvars:
           Ende  des  Jahres  wurde  Diotrephes  zum  Archont  von  Athen  gewählt,  in  Rom  wurden  Lucius
           Valerius  und  Aulus  Manlius  als  Konsuln  eingesetzt,  und  bei  Elis  fand  die  99.  Olympiade  statt,  bei
           welcher  der  Syrakusianer  Dikon  im  Stadion  siegreich  war.  Während  dieser  Zeit  nahmen  die  pa-
           rischen  Siedler,  die  sich  in  Pharos  angesiedelt  hatten,  selbstständig  die  Gründung  der  Stadt  und
           die  Errichtung  einer  Wehrmauer  am  Ufer  vor.  Die  Barbaren  aber,  die  vorher  dort  gelebt  hatten,
                                                                                                          Hvar entdecken      7
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